Erweiterung des Unterhaltsanspruchs für nichteheliche Mütter (§ 1615 l BGB)
Sachverhalt der Entscheidung
Der BGH hatte sich in seiner Entscheidung (BGH Az.: XII ZR 251/14 vom 10.06.2015) mit folgendem Fall auseinanderzusetzen:
Die Mutter hat ein behindertes Kind (Trisomie 21, sog. Down-Syndrom) geboren. Vor der Geburt waren die Mutter wie auch der Vater Studenten. Die Mutter hatte 3 Jahre Unterhalt bezogen. Nach deren Ablauf begehrte sie weiteren Unterhalt. Das OLG entschied (OLG Karlsruhe 2 UF 238/13), dass der Mutter kein Unterhalt zusteht, weil sich ihr nach dem Einkommen, das sie im Zeitpunkt der Geburt bezog, richtet und die Mutter jetzt als Angestellte mehr verdienen könne als im Zeitpunkt der Geburt, zu dem die Mutter noch Studentin war.
Das OLG hielt für die Mutter während des Kindergartenbesuchs des Kindes eine Teilzeittätigkeit im Umfang von 5 Stunden täglich für möglich und errechnet, dass der Mutter in diesen 5 Stunden die Deckung des Existenzminimums von 800 € möglich sei. Mehr stehe der Mutter nicht zu, weil sie im Zeitpunkt der Geburt als Studentin keine Einkünfte erzielt habe. Ein Unterhaltsanspruch über das 3. Lebensjahr des Kindes hinaus wurde deshalb abgelehnt.
Die Entscheidung des BGH:
Der BGH setzt sich zunächst ausführlich damit auseinander, ob der Mutter angesichts des erheblichen Zeitaufwands für die Pflege und Erziehung ihres behinderten Kindes überhaupt eine Teilzeittätigkeit im Umfang von 5 Stunden täglich zumutbar ist. Bereits diese Frage verneint der BGH.
Anschließend stellt der BGH-Senat ausdrücklich fest, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung, nach der der Unterhaltsanspruch auf das im Zeitpunkt der Geburt bezogene Einkommen begrenzt ist, nicht mehr festhält. Statt den Lebensbedarf der Mutter für den Unterhaltsanspruch wie dies auch bisher der BGH, statisch nach dem Einkommen im Zeitpunkt der Geburt zu bestimmen, ist zukünftig darauf abzustellen wie sich die Einkommensverhältnisse ohne die Geburt des Kindes hypothetisch weiterentwickelt hätten. Der BGH unterstellt dabei, dass die Mutter ohne die Geburt des Kindes ihr Studium abgeschlossen hätte. Entsprechend bestimmt der BGH den Unterhaltsanspruch der Mutter nach dem Einkommen, dass die Mutter mit einem abgeschlossenen Studium in einer durchschnittlichen Vollzeitanstellung hätte verdienen können.
Auszüge aus dem Wortlaut der BGH Entscheidung:
Im Leitsatz zur Entscheidung hält der BGH fest:
"Die Lebensstellung des nach §§ 1615 l Abs. 2, 1610 Abs. 1 BGB Unterhaltsberechtigten (also der nichtehelichen Mutter) richtet sich danach, welche Einkünfte er ohne die Geburt und die Betreuung des gemeinsamen Kindes hätte. Sie ist deshalb nicht auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes festgeschrieben, so dass sich später ein höherer Bedarf ergeben kann (teilweise Aufgabe von Senat, FamRZ 2010, 357 und FamRZ 2010, 444)."
In seinen Entscheidungsgründen schreibt der BGH dann:
"Der Senat hat zwar entschieden, dass ein im Zeitpunkt der Geburt des gemeinsamen Kindes bestehender (Mindest-)Bedarf später auch durch eine Teilzeittätigkeit bestritten werden kann. Soweit daraus eine vollständige Bedarfsdeckung auch für künftige Zeiten abgeleitet wurde, hält er daran aber nicht fest. Die Lebensstellung des nach den §§ 1615 l Abs. 2, 1610 Abs. 1 BGB Unterhaltsberechtigten richtet sich danach, welche Einkünfte er ohne die Geburt und die Betreuung des gemeinsamen Kindes hätte; sie ist deshalb nicht auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes festgeschrieben. Den hieraus folgenden Bedarf dürfte die Ast., die ihr Studium ohne dessen Unterbrechung wegen der Betreuung des Kindes abgeschlossen haben dürfte, nicht durch eine Teilzeittätigkeit decken können."
Zum Umfang der zumutbaren Erwerbstätigkeit für die kinderbetreuende Mutter führt der BGH aus:
"Soweit die Betreuung des Kindes auf andere Weise sichergestellt oder in einer kindgerechten Einrichtung möglich ist, kann einer Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils allerdings entgegenstehen, dass die von ihm daneben zu leistende Betreuung und Erziehung des Kindes zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen kann. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen, dass am Morgen oder am späten Nachmittag und Abend regelmäßig weitere Erziehungs- und Betreuungsleistungen zu erbringen sind, die je nach dem individuellen Betreuungsbedarf des Kindes in unterschiedlichem Umfang anfallen können (für den Anspruch nach § 1570 BGB)."
Diesen Gesichtspunkt hat das Beschwerdegericht (OLG) nicht hinreichend gewürdigt. Die Antragstellerin hat geltend gemacht, für die Vorbereitung des Kindes auf die Kindertagesstätte etwa eine Stunde zu benötigen, weil es z.B. nicht selbstständig essen könne. Für das Bringen zu und das Abholen von der Betreuungseinrichtung brauche sie jeweils ebenfalls eine Stunde. Darüber hinaus müsse sie mit ihrer Tochter Therapietermine wahrnehmen und mehrfach täglich Übungen absolvieren. Diese Umstände bedingen einen erheblichen zeitlichen Einsatz, der bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der Betreuung des schwerbehinderten Kindes und einer Erwerbstätigkeit angemessen zu berücksichtigen ist. Konkrete Feststellungen hierzu hat das Beschwerdegericht (OLG) nicht getroffen.
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